Einer meiner lang gehegten Träume ist vor kurzem in Erfüllung gegangen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ich habe vor einigen Wochen geträumt, dass ich an einem Schweige-Retreat teilnehmen soll. Als ich dann kurz darauf am Attersee war, googelte ich einfach mal und das erste Ergebnis, das mich ansprang, war das ZENtrum Mondsee. Und ich spürte sofort: Das ist es. Ich musste nicht weiter suchen oder recherchieren. Nun bin ich gerade von dort zurückgekehrt, reich an neuen Erfahrungen und zutiefst dankbar für dieses Erlebnis. Denn es war tief. Sehr tief. Es war ja nicht meine erste Schweige-Erfahrung, ich habe vor einigen Jahren schon einmal eine Woche im Alltag geschwiegen, neben meinen noch kleinen Töchtern. Das war damals die einzige Möglichkeit für mich, die Stille in mir zu suchen. Und dann habe ich einmal sieben Tage in einem Kloster der neuen Zeit verbracht und auch dort einen Stille-Tag eingelegt.
Ankommen und abgeben
Was mich in Mondsee erwarten würde, wusste ich nicht im Detail, ich betrat die kühlen Gewölberäume im Schloss neugierig und offen. Nach einer Kennenlernrunde und dem Erklären der Regeln ging es auch schon los. Die Abläufe waren von Seiten des erfahrenen Kursleiterpaares Marion und Bernhard Hötzel klar und minutiös geregelt. Es ging ja auch darum, die Kontrolle abzugeben und sich so wenig wie möglich ums Außen zu kümmern. Wir waren angehalten, weder zu sprechen noch uns gegenseitig in die Augen zu sehen. Jeder hatte einen fixen Platz an einem der drei Esstische, drei Dienste (Staubsaugen, Abtrocknen, Geschirrspüler einräumen) pro Tag und Mahlzeit wurden unter uns aufgeteilt. Alle drei Mahlzeiten wurden gemeinsam begonnen und beendet. Unsere gemeinsamen Tage starteten um 7 Uhr und endeten um 21h15. In der 2stündigen Mittagspause, in der wir das ZENtrum auch verlassen sollten, hatte jeder ein tägliches 5-Minuten-Gespräch mit einem der Kursleiter.
Meditieren. Essen. Trinken. Vor dem Zentrum sitzen. Auf und ab gehen. Aufs Klo gehen. In den Kreuzgang zur Gehmeditation hinüberwechseln. Sonst war nichts zu tun. Und dabei tat sich ganz viel. Mir wurde bewusst WIE laut es in meinem Kopf tatsächlich ist. Dabei liebe ich die Stille. Ich meditiere auch im Alltag, ich ziehe mich gerne und häufig zurück und ich kann gut in mir versinken. Und doch merkte ich, wie sehr es die ganze Zeit, ohne Unterlass in mir denkt. Und schreibt. Sich Gedankenketten bilden, Sätze formen und Formulierungen entstehen. Denn ich bin es gewohnt, über meine Erfahrungen zu sprechen und zu schreiben. Ich habe einen enormen Mitteilungsbedarf.
Nur für mich
Und hier kommt auch schon meine erste Erkenntnis: Ich bin sehr nach außen orientiert. Wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, ist der Motor für viele meiner Handlungen, darüber zu reden oder zu schreiben. Ich will dafür bewundert werden, beachtet werden, geliebt werden. Es ändert sich viel, wenn klar ist, dass ich niemandem von meinem Tun erzählen kann und auch keine Fotos teilen kann. Wir sollten nämlich auch gänzlich auf elektronische Geräte verzichten, ebenso auf Bücher und aufs Schreiben. Letzteres viel mir am schwersten, am letzten Tag schwindelte ich ein wenig und übertrug ein paar meiner Gedanken in mein Notizbuch.
Ruhig, sanft und liebevoll
„Meditieren besteht aus drei Säulen: entspannen, beobachten und nicht werten“, so Kursleiterin Marion Hötzel. Und auch sie sei nach so vielen Jahrzehnten Erfahrung jeden Tag wieder Anfängerin, wenn sie anfinge zu meditieren. Wir erlebten in diesen Tagen verschiedene Zugänge zur Meditation. Mal stilles Sitzen, mal Liegen, mal eine geführte Meditation, mal Eintauchen in Musik, mal sanfte Yogabewegungen und Atemübungen. Auch inspirierenden Impulsvorträgen von Marion und Bernhard, die uns so liebevoll und ruhig durch diese Tage führten, lauschten wir schweigend und mit geschlossenen Augen.
Den Verstand wegschütteln
Der Tag begann stets mit einer vierteiligen Kundalini-Meditation: 15min Schütteln, 15min freies Bewegen, 15min Sitzen und 15min Liegen. Eine wunderbare Übung, um zu beobachten, wer gerade regiert: der Verstand, der Körper oder die Seele. Wir sollten versuchen, unseren Impulsen zu folgen, die direkt aus dem Herzen, aus unserem Innersten kommen. „Ich schwitze, meine Beine sind müde, mein BH scheuert!“, meldete der Körper. „Ich könnte doch den BH aufmachen. Kann ich? Soll ich? Wie mach ich ihn dann wieder zu? Ist doch eigentlich egal. Es haben alle die Auge geschlossen. Aber was, wenn dann doch wer herschaut? Kann ich das Thema nicht einfach loslassen? Blablablabla…“, poltert der Verstand. Die Seele schweigt, lächelt, wartet und sendet den nächsten Impuls. 5 Minuten später ist mein BH offen, Problem gelöst. Tag 2: Die clevere Ines tanzt in der Früh ohne BH an. Am Tag 3 dann doch wieder mit dem gleichen BH. Das Scheuern ist jedoch interessanterweise überhaupt kein Thema mehr, ich schüttle eine Viertelstunde mit einem breiten Grinsen und großer Freude.
Mit schwerem Kreuz im Kreuzgang
Bei der Gehmeditation bewegen wir uns eine halbe Stunde im Zeitlupentempo durch den Kreuzgang der Kirche. „Aufsetzen, abrollen, Gewicht verlagern“, kommt die sonore Ansage von Kursleiter Bernhard. Am ersten Tag schmerzt mein Nacken dabei unerträglich, ich ersehne das viertelstündige Läuten der Kirchenglocken, das das Ende der Qual andeutet. Ich bespreche mein Problem in der Pause mit Marion und frage, ob ich während des Gehens etwas mit meinen herunter hängenden Armen machen könne, um den Schmerz zu lindern. „Jeder von uns hat ein Kreuz zu tragen“, meint sie. Und dass ich genau so weitermachen solle wie bisher. Und siehe da: Von Mal zu Mal wird es besser. Am vierten Tag wandle ich schmerzfrei durch den Gang, es hat sich alles wie von selbst gelöst. Und außerdem ist mir das Schneckentempo, das Bernhard vorgibt, auf einmal zu schnell.
Heiterkeit als Helferlein
Gelassenheitsübungen bekommen wir am laufenden Band serviert. In einem für so viele Menschen doch recht engem Raum kein Wunder. Die Wartezeiten bei Tisch, bis wir endlich unsere Teller füllen dürfen. „Tisch 3 geht zum Buffet!“, „Tisch 1 geht zu den Getränken“. Jede Mahlzeit wird erst begonnen, wenn der Letzte an seinem Platz steht und beendet, wenn der Letzte aufgegessen hat. Das Schweigen beim Essen, die Kaugeräusche, die ausweichenden Blicke, weil wir uns ja nicht ansehen sollen. Die Klopausen, die nicht auf die eigene Verdauung Rücksicht nehmen. Und dann auch noch der „Tag der nicht funktionierenden Technik“, wie Bernhard scherzt. Die Kaffeemaschine und ein Ofen geben den Geist auf, die Abläufe verzögern sich. Im Meditationsraum dicht an dicht mit vielen Menschen. Schluchzen, Schnarchen, Schnäuzen, Rascheln, fremde Energien. Das ist nicht nur für mich fordernd. Humor hilft uns immer wieder zurück in die Leichtigkeit. Als in die Stille des Meditationsraums das fragende „Grüß Gott!“ des endlich eintreffenden Kaffeemaschinen-Reparateurs dringt, gibt es kein Halten mehr.
Meine tiefsten Momente kommen völlig überraschend. Ich sitze bei Tisch und auf einmal ist da ein überwältigendes Glücksgefühl in mir. Einfach darüber, dass ich DA bin. Unbeschreiblich, mir schießen die Tränen in die Augen. Oder ich sitze am dritten Tag in der Meditationshaltung, und als die sonst so ersehnten Pausenzimbeln erklingen, bleibe ich noch minutenlang sitzen, tief versunken. Und verstehe plötzlich, wie Marion das gemeint hat, dass oft nur der Verstand eine Pause will und den Körper vorschickt, mit Hunger, Schmerzen, Durst, Klo… Meine Seele will jetzt sitzen bleiben. Während einer Atemübung wird es plötzlich so still in meinem Kopf, wie ich es lange nicht erlebt habe. Das belastende Summen, das mich seit über einem Jahr begleitet, hat Pause gemacht. Einfach so. Jetzt schluchze auch ich.
Tränen und leuchtende Seelen
Am 5. Tag beenden wir das Schweigen mit flüsternden Zweiergesprächen und den ersten bewussten Blicken in die Augen der anderen. Die Fenster zur Seele glänzen bei den meisten vor Berührung, Tränen benetzen manche Wangen. Dann sitzen wir in einer Runde – all diese unterschiedlichen Menschen, viele Frauen, vier Männer. Der jüngste Teilnehmer ist erst 18 Jahre alt, der Älteste bereits zum vierten Mal dabei. Die Tränen fließen während der Feedbackrunde fast bei jedem, die Herzen sind weit offen, die Erfahrungen jedes einzelnen tief schürfend. In meinen Ohren klingt ein Satz, den uns Marion während einer Herz-Mediation mitgegeben hat: „Möge dann und wann Deine Seele leuchten und das Kleid der Freude tragen.“
Klingt wunderbar und sehr herausfordernd
Ja, diese Worte treffen es gut… Das Fordernde vergeht, das Wunder bleibt 🙂
Danke, ich fühle mich, wie so oft beim Lesen deiner Worte, berührt.
So eine wunderbare Erfahrung, danke wieder fürs Teilen 🙏
Liebe Ines, deine Worte rühren an tiefe Sehnsucht nach Stille und bei sich ankommen. Gleichzeitig rügen sie tief an mein Herz und ich freu mich einfach nur für dich, über deine wunderbare Auszeit.